Der Fall Kaishu Sano beschäftigt Verein und Fanszene seit einigen Wochen. Immer noch dominieren für Außenstehende Ungewissheit sowie Schweigen. Sano wird in Japan ein sexueller Übergriff mit zwei weiteren Beteiligten vorgeworfen. Die Frau erhob nach einer Nacht im Hotel schwere Vorwürfe. Sie informierte in derselben Nacht noch die Polizei und sprach von einer Vergewaltigung. Mehr ist für uns alle nicht bekannt (gemacht worden). Sano wurde nach insgesamt 16 Tagen in Untersuchungshaft freigelassen und sein Verfahren wurde eingestellt.
Die Verantwortlichen von Mainz 05 geben Anweisungen zum altbekannten Verhaltensmuster: Schweigen. Das unter den Tisch kehren solcher Angelegenheiten ist auf so vielen Ebenen falsch, dass wir und vor allem Betroffene sexualisierter Gewalt damit nicht leben können. Zum einen wird ein fatales Symbol an alle Betroffenen, das Vereinsumfeld und die Gesellschaft gesendet: Mainz 05 ist in der Causa nicht an einer Aufklärung interessiert. Zum anderen werden Betroffene mundtot gemacht und ihnen ihre Wahrheit kollektiv abgesprochen. Denn wer keinerlei Statement abgibt, der sorgt eben auch nicht dafür, dass Betroffene gehört werden. Das ist keine Neutralität, das ist Passivität. Passivität, die dafür sorgt, dass Täter ihr Leben, im Zweifel ohne Konsequenzen zu befürchten, weiterleben können. Somit wird das kollektive Wegschauen in der Gesellschaft auch durch das Handeln unseres Vereins aufrechterhalten und bestärkt.
Dieses Problem besteht selbstverständlich nicht nur im Profifußball. Jedoch haben uns Beispiele wie Jerome Boateng und VfB Stuttgart Profi Atakan Karazor bewiesen, dass vor allem Fußballvereine ihre moralisch-gesellschaftliche Verantwortung nicht wahrnehmen wollen, sie sogar ablehnen. Karazor, der vor 2 Jahren wegen des Vorwurfes der sexuellen Nötigung 6 Wochen in Untersuchungshaft auf Ibiza saß und nur auf Kaution wieder nach Deutschland zurückdurfte. Dem VfB um Sven Mislintat reichte ein einfaches „ich bin unschuldig“ von Karazor, um ihn ins Team zu reintegrieren. Das Verfahren gegen ihn und einen Freund läuft noch. Bundesligaspiele seitdem: 62! Seit neustem ist er sogar Kapitän.
Eins der prominentesten Beispiele ist Mason Greenwood. Seine damalige Freundin warf ihm versuchte Vergewaltigung und Körperverletzung vor. Als Beweise gab es Audiodateien und Bilder. Er wurde sofort von Manchester United suspendiert. Das Verfahren gegen ihn wurde trotz der Beweise eingestellt, da wichtige Zeugen die Zusammenarbeit mit der Justiz beendeten. Er wurde nach Getafe verliehen, damit “Gras über die Sache wachsen“ konnte. Seine Reintegration scheiterte an Protesten. So wurde er für 30 Mio. EUR nach Marseille verkauft. Die Proteste gegen ihn blieben aber nicht aus.
Auch, dass Aristide Bancé 2009 eine Frau schlug blieb, trotz Geständnis, für ihn ohne Folgen. „Einstellungen gegen Zahlung an gemeinnützige Einrichtung“ hieß es damals.
Betrachten wir all diese Fälle, sehen wir: Die wirtschaftliche Situation steht, wie immer, über allem.
Die Unwissenheit sowie eine Sprachbarriere sind im Fall Sano „praktisch“ für unsere Verantwortlichen. Aber: Die Einstellung solcher Verfahren ist de facto nicht mit Unschuld gleichzusetzen. Diese Annahme ist ein fataler Fehler und ein Affront an Betroffene sexualisierter Gewalt! Dass Sano juristisch in Japan keine Konsequenzen mehr zu befürchten hat, mindert seine mutmaßliche Schuld (in welcher Weise auch immer) eben nicht. Es sollte für einen Verein, der sich immer wieder öffentlich politisch positioniert außer Frage stehen, an einer restlosen Aufarbeitung zu arbeiten.
Stellt es nicht sogar eine Täter-Opfer-Umkehr dar, wenn Sano ohne Weiteres in die Mannschaft integriert wird und lediglich „seine Strapazen“ thematisiert werden? Der Betroffenen wird offensichtlich kein Glauben geschenkt, obwohl es keine Gründe gibt, ihre Perspektive infrage zu stellen. Sie sollte die Solidarität erfahren, die er momentan erfährt.
Doch auch wir alle als Mitglieder dieser Kurve sollten uns dieser Mechanismen bewusst werden! Opferschutz sollte vor Täterschutz stehen, in welcher Situation auch immer. Übergriffe gehören für viele Betroffene auch auf unserer Tribüne zur Tagesordnung. Wir alle sind in der Verantwortung, dieses System zu bekämpfen. Rafft euch auf und macht euren Mund auf, wenn ihr etwas mitbekommt!
Deshalb fordern wir Mainz 05 dazu auf, seiner moralisch-gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen. Dafür braucht es mindestens eine transparente Kommunikation des Vereins in der Öffentlichkeit, die nur durch einen aufrichtigen Willen zur Aufklärung zustande kommen kann.
Ultraszene Mainz