Die Ankündigung, dass Mainz 05 an den Spielen gegen eine chinesische U-20 Auswahl teilnehmen wird, hat in den vergangenen Tagen für einigen Gesprächsstoff gesorgt. Ein offener Brief mehrerer Fanvertretungen hat die Entwicklung bereits kritisch beleuchtet und auch wir möchten die Gelegenheit nutzen, um ausführlich zu erklären, warum wir dieses DFB-Projekt und eine Teilnahme von Mainz 05 daran deutlich ablehnen.

Zunächst einmal richtet sich unsere Kritik sicherlich nicht gegen irgendeine U20 Mannschaft, die Testspiele absolvieren und jungen Fußballern die Gelegenheit geben möchte, sich sportlich weiter zu entwickeln. Niemand hat damit ein Problem, im Gegenteil: Es ist grundsätzlich begrüßenswert, wenn man Breiten- und Spitzensport weltweit fördert. Ein solches U20 Team könnte auch beispielsweise aus Ruanda oder Bangladesch kommen, dass es aus China kommt, untermauert aber die damit einhergehenden finanziellen Motive des DFB. Denn in China werden seit kurzem staatlicherseits Millionenbeträge in den Fußball investiert, die heimische Liga wird mit Stars wie Hulk, Oscar oder Anthony Modeste aufgewertet und es werden lukrative Deals mit europäischen Ligen und Vereinen eingefädelt. Teilweise stehen bizarre Vorschläge im Raum, wie der von Adidas-Chef Kaspar Rorstedt, der gar ein DFB-Pokalfinale in China vorschlägt[1], aber es gibt auch deutlich handfestere Beispiele. So plant z.B. die englische Premiere League Anstoßzeiten zu Gunsten der TV-Vermarktung in Asien einzuführen[2] [3] und recht unbemerkt von der Öffentlichkeit hat die DFL den neuen Spieltermin Sonntag 13:30 Uhr eingeführt, der vermutlich nicht zufällig in die asiatische Prime-Time fällt. Ein Vertrag über 250 Millionen Euro wurde bereits im Herbst 2016 zwischen Ligaverband und einem chinesischen Anbieter abgeschlossen, dessen Inhalte bisher nur sehr vage an die Öffentlichkeit gedrungen sind[4].

Grundsatzentscheidung mit enormer Reichweite

Wenn der DFB hier nun ein solches Projekt ankurbelt, dann darf es nicht isoliert betrachtet, sondern muss im gesamten Kontext jener aktuellen Entwicklungen bewertet werden. Es offenbart ein grundlegendes strategisches Denkmuster von Seiten der Verbände und Funktionäre und folgt der gleichen Logik, mit der z.B. Weltmeisterschaften nach Katar vergeben werden. Die Hinwendung zum asiatischen Markt, verbunden mit der Aussicht auf ein Millionengeschäft, steht für ein grenzenloses Weiterdrehen der Vermarktungsmaschinerie. Dies wird der eigenen Basis, der Wertigkeit des hiesigen Amateurfußballs und den Vorstellungen der Fans vorangestellt.

Es stellt sich die Frage, warum der DFB sich lieber mit solchen Deals beschäftigt, statt sich um die tatsächlichen Bedürfnisse der unterklassigen Vereine zu kümmern? Viele Strukturen liegen seit geraumer Zeit im Argen, die Durchlässigkeit in höhere Spielklassen wird immer geringer, weil viele Vereine schlicht nicht mehr in der Lage sind, Auflagen zu erfüllen, die ein Aufstieg in eine nächsthöhere Spielklasse mit sich bringt. Manche Vereine verzichten gar darauf, Lizenzen zu beantragen, weil sie die gestellten Bedingungen nicht erfüllen können, wie z.B. der TSV Marl-Hüls[5]. In den betroffenen Regionalligen beklagen die Vereine seit Jahren, dass die Meister nicht direkt aufsteigen, sondern stattdessen zwei Relegationsspiele am Ende über den Erfolg einer gesamten Saison entscheiden. Hier besteht also vielfältiger, akuter Handlungsbedarf, der in der unmittelbaren Verantwortung des DFB liegt. Der Verband ist hier gefordert, im großen Stil bessere und faire Strukturen zu schaffen, in denen Aufstieg und Abstieg nachvollziehbar gestaltet werden und nicht, wie im Fall Pirmasens, Ergebnis von sportlich selbst nicht direkt beeinflussbaren Ereignissen sind[6].

Die Krone dieser Entfremdung von der eigenen Basis ist es nun, eine Antrittsprämie von 15.000 Euro an die teilnehmenden Vereine auszuschütten. Viele der betroffenen Vereine stehen mit einem Bein in der Insolvenz, auch und gerade durch die angesprochenen Auflagen seitens der Verbände sind sie daher fast gezwungen, das Geld anzunehmen. Von dem großen Geschäft in Asien allerdings werden langfristig andere profitieren, während der kleine Geldsegen vor allem kurzfristig dafür sorgt, dass kaum jemand aufbegehrt und grundsätzliche Fragen stellt. So kann der DFB weiter kritiklos an vergleichbaren Projekten schrauben, während sich für die Vereine nichts ändert. Der Wettbewerb verliert mehr und mehr an Wertigkeit, die bestehenden Probleme werden weiterhin ignoriert und die Vereine können sich finanziell irgendwann nicht mehr über Wasser halten. Mit der Prämie kauft sich der DFB gewissermaßen von seiner Verantwortung frei, ohne tatsächlichen Willen etwas zu verändern.

Bei einem Deal mit der Volksrepublik China kommt man zudem nicht umher, die Situation auch aus einem politischen Blickwinkel zu betrachten. Der Amnesty Jahresbericht zu China von 2016 beschreibt alarmierende Entwicklungen hin zu massiver Zensur, Überwachung und weitgehenden Eingriffen ins Private. Ebenso wird von „(…) weitverbreiteter Folter und anderweitigen Misshandlungen sowie unfairen Gerichtsverfahren(…)“ gesprochen. Weitere Aspekte des Berichts sind die Unterdrückung von Minderheiten, der intransparente Umgang mit der Todesstrafe, die Einschränkung von Religions- und Glaubensfreiheit, sowie die Beschneidung der Rechte auf Meinungsfreiheit[7].

Für die Machthabenden sind Investitionen im Sport offensichtlich auch immer ein Mittel, um das Volk zu unterhalten und die eigene Macht zu legitimieren – eine moderne Variante von „Brot und Spiele“[8]. Diese Problematik blendet der DFB jedoch einfach stillschweigend aus, äußert sich auch nicht dazu, dass Trainer und Funktionsteam der U20 einen Maulkorb von Oben verordnet bekommen haben. Die vielgepriesene Völkerverständigung ist so de facto unmöglich[9].

Mainz 05 hat eine Chance vertan – leider!

Insgesamt ist die Entscheidung über die Teilnahme an einem solchen Projekt unserer Auffassung nach nicht nur eine Entscheidung über ein einfaches Testspiel, sondern eine grundsätzliche, aber vor allem wegweisende und im schlimmsten Fall eben weitreichende. Das Spiel ist nur ein Symptom einer insgesamt zu kritisierenden Entwicklung, die wir Fans nicht widerstandslos und vor allem nicht wortlos hinnehmen dürfen. Damit ist nicht gemeint, dass Mainz 05 es ablehnen soll, wenn der 1.FC Köln eine astronomische Summe für Jhon Cordoba zahlt. Die völlige Entkoppelung finanzieller Verhältnismäßigkeiten solcher Geschäfte ist sicher zu kritisieren, aber folgt schlussendlich auch nur den bestehenden Verhältnissen des modernen Fußballs. Die Logik des Marktes mag unsere romantische Seifenblase ein ums andere Mal zum Platzen bringen, aber gewisse Werte und Ideale des Sports und der Vereine bleiben unverkäuflich.

Wenn wir auf unsere eigene Geschichte zurückblicken, wird uns klar, wie wichtig diese Werte und Ideale des Sports sind. Hätte es 1997 bereits die heutigen Rahmenbedingungen gegeben, unser Verein hätte den Weg der letzten 20 Jahre niemals gehen können. Er hätte nie um den Aufstieg spielen und sich ganz sicher niemals in der Bundesliga etablieren können. Die eigene Geschichte zu wahren, heißt eben auch, sie zu verteidigen. Vergessen wir nicht, wo wir herkommen und wie weit wir dabei als der „etwas andere Verein“ gekommen sind. Wir haben gezeigt, dass wirklich alles möglich ist im Fußball. Von der staubigen Aschenbahn zu Flutlichtspielen in der Euroleague – ganz ohne Hilfe eines Investors, sondern durch harte, solide Arbeit und vor allem unseren Glauben daran. Wir haben all den Naiven und Verrückten, den verliebten Fußballromantikern Mut gegeben, dass jeder Verein es schaffen kann. Wir waren Sinnbild für den magischen Moment, der diesen wundervollen Sport ausmacht. Wer, wenn nicht wir, weiß daher um den ständigen Kampf kleiner Vereine? Genau deshalb müssen wir uns auch damit auseinandersetzen und das Ganze nicht marginal als einfaches Testspiel abtun. Hier werden kleine Vereine langfristig in Bedrängnis gebracht.

Was den China-Deal betrifft, hätten wir uns daher gewünscht, dass Mainz 05 bei seiner ursprünglichen Haltung für den Fußball als gesellschaftlich-soziales Gut und gegen das Investmentprojekt geblieben wäre. Im ersten Moment war das „Nein“ unseres Vereins ein starkes Symbol dafür, dass man bereit ist, mit breiter Brust den eigenen Weg zu gehen und eben genau das zu tun, was uns doch so stark gemacht und soweit gebracht hat: Nicht blind dem folgen, was andere vorgeben, sondern den Mut haben, sich seine eigenen Gedanken zu machen, notfalls den Schneid und das Selbstbewusstsein haben, auszuscheren und vor allem sein eigenes Profil wieder schärfen. Ja, wir waren verdammt stolz darauf, dass unsere Nullfünfer nicht jeden Unfug mitmachen! Gerade, weil wir doch der „andere Verein“ sind, oder es waren?
Nach so einem stolzen Moment ist es natürlich umso bitterer, dass diese klare Haltung vollends im Nebel verschwand. Was jetzt steht, ist weder Fisch noch Fleisch. Die angekündigte Spende der Antrittsprämie zeigt lediglich, dass Mainz 05 als Bundesligist das Geld nicht so nötig hat wie andere. Für uns ist die getroffene Entscheidung daher keine Lösung und auch kein Kompromiss. Das klar abzulehnende Projekt wird letztlich gebilligt und promotet, während der Verein mit seiner Spende versucht, dem Ganzen noch einen mildtätigen Anschein zu verleihen. Wir haben in diesem Fall den Kontakt zu Mainz 05 gesucht und unsere Kritik in einem kontroversen, aber sachlichen Gespräch vorgetragen.

Wir wollen schon jetzt die Chance wahrnehmen, um anzukündigen, dass wir das Spiel gegen Chinas U 20 natürlich für Protest nutzen werden. Wir dürfen nicht länger wegschauen und Entscheidungen kommentarlos hinnehmen, sondern müssen hinterfragen und kritisieren! Wenn der DFB sich weiter von seiner Basis entfernt, dann muss er den Unmut zu spüren bekommen, direkt und sichtbar! Wir Fans sind gefordert, aber viel mehr noch die Vereine! Vor allem Vereine wie der unsrige. Hier muss eine Abkehr von Ja-Sager-Mentalität und vorauseilendem Gehorsam stattfinden. Nicht nur im Interesse der Fans, nicht nur im Interesse des Vereins – sondern im Interesse des gesamten Fußballs und der Vereinskultur!

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Q-BLOCK – DIE FANS VOM FSV

 

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[1] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/adidas-chef-rorsted-pokalfinale-statt-in-berlin-in-shanghai-1.3464826

[2] http://www.dailymail.co.uk/sport/football/article-3946936/Premier-League-boosted-new-482m-China-TV-deal-flight-earn-12-times-year.html

[3] http://www.dailymail.co.uk/sport/football/article-4589516/Premier-League-consider-moving-22-games-11am-kick-offs.html

[4] http://www.taz.de/Deutsch-chinesischer-Fussballdeal/!5426481/

[5] http://www.fupa.net/berichte/marl-huels-beantragt-keine-lizenz-656124.html

[6] http://www.zeit.de/sport/2017-06/fussball-regionalliga-fk-pirmasens-juniorenteam-china

[7] https://www.amnesty.de/jahresbericht/2017/china

[8] http://www.zeit.de/2008/04/Chinaoeffnung

[9] http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.chinas-u20-gegen-grossaspach-das-reich-des-schweigens.5f98efda-8d0e-45cc-96b4-c4ca9111c9f5.html