„Auf der Arbeit fällt der Hammer heute etwas früher, du hast heute schließlich noch was vor. Die Nullfünfer spielen im Pokal gegen Holstein Kiel, den ganzen Tag schon freust du dich auf die Flutlichtatmosphäre und ein paar Bier mit Freunden. Als du dich endlich durch den Stau in der Innenstadt gekämpft hast und am Stadion ankommst, merkst du, wie leer es heute ist. Aber egal, warum soll dir das die Laune vermiesen? Schnell noch ´ne Wurst reingeschoben, marschierst du mit vollbesetztem Bierhalter in den Block. Der P-Block ist heute leider geschlossen, also geht´s ausnahmsweise mal in den Q. „Wird schon nicht so schlimm werden“, denkst du dir und passierst den Eingang. Du quetschst dich durch die unteren Reihen vollbesetzt mit den Ultras durch, sie ziehen gerade Fahnen auf, eine Sekunde nicht aufgepasst, schon reißt dir ein Fahnenstock dein Pils aus der Hand. Die Hälfte landet auf dem Boden, die andere auf deiner Jacke. Du schimpfst und der Ultra wirft dir ein kurzes „Sorry“ entgegen, bevor er sich wieder seiner Fahne widmet. Nachdem du dich weiter durch die Reihen nach oben gedrängt hast, kommst du endlich bei deinen Kumpels am Wellenbrecher an. Ihr haltet einen kurzen Schwatz, als eine Familie mit zwei kleinen Kindern an euren Standort kommt. Sie bitten euch den Platz freizumachen, damit die Kleinen was sehen können auf ihren mitgebrachten Styroporpodesten. Ihr gebt euren Standort seufzend auf und zwängt euch nochmal ein Stück nach oben, vorbei an ein paar Kuttenträgern. Kaum seid ihr da angekommen, blökt euch ein älterer Typ von der Seite an „Weg da! Ich steh´ hier seit 20 Jahren!“
Einer deiner Kumpels wird in eine leichte Rangelei mit dem Typen verwickelt – und schon landet das zweite Bier auf deiner Jacke.
Es dauert noch etwas, bis ihr schließlich ein Eckchen für euch findet, das Spiel beginnt, endlich Fußball…sehen könnt ihr aber nix, jetzt habt ihr eine große Fahne vorm Gesicht.“
Recht unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit hat der 1.FSV Mainz 05 e.V. in der vergangenen Woche bekannt gegeben, dass zum DFB-Pokalheimspiel gegen Holstein Kiel nur Karten für die Blöcke Q und R auf der Rheinhessentribüne verkauft werden. Die beiden Außenblöcke P und S sollen also einfach gesperrt bleiben für die Fans. Leider ist bei diesem Spiel mit einer niedrigen Stadionauslastung zu rechnen, weshalb der Verein wohl in allererster Linie Kosten sparen möchte. Natürlich löst eine solche Maßnahme Unmut auf allen Seiten aus, aber es steckt doch leider noch mehr dahinter. Wir empfinden diese Entscheidung und vor allem die Denkweise, die dahinter steckt, als grundlegend falsch und alarmierend, weil sie die einfachsten Bedürfnisse wirklich aller Fans nicht nur passiv ignoriert, sondern aktiv mit Füßen tritt.
Anstatt jene Fans zu unterstützen, die bei Wind und Wetter, zu jedem Datum und zu jeder Uhrzeit, gleichwohl dem Gegner ins Stadion pilgern, anstatt jenen Fans den Rücken zu stärken und sie mit offenen Armen zu empfangen, anstatt jene Fans wenigstens einfach in Ruhe zu lassen, werden diese Fans einmal mehr geringgeschätzt, indem man ihnen ihren angestammten Platz nimmt: „Seht doch zu, wo ihr bleibt!“ Hinzu kommt – und das ist dann wirklich der Gipfel – dass die Kommunikation über diesen Eingriff wiedermal an der eigenen Anhängerschaft, an den Mitgliedern und Fangremien vorbei gelaufen ist.
Auf den Stehplätzen der Rheinhessentribüne herrscht eine vielfältige Fankultur, die von Menschen aller Couleur auf ganz individuelle Art und Weise ausgelebt wird und dabei mit unterschiedlichsten Bedürfnissen und Vorstellungen verknüpft ist. Es gibt die Fanclubs, die sich jedes Heimspiel am selben Wellenbrecher zum Biertrinken treffen, die bereits erwähnte Familie mit Kindern und ihren Styroporpodesten, die Zaunkönige, die direkt hinter den Bannern die Nähe zum Spielfeld genießen, es gibt Ultras mit Trommeln, Fahnen, Megaphonen, die 90 Minuten in Bewegung sind – aber natürlich auch die Menschen, die einfach in Ruhe und ohne Fahne vor der Nase das Spiel sehen wollen und darüber hinaus noch vieles, vieles mehr. Es gibt in dieser Kurve also eine sehr ausgeprägte Bandbreite. Für ein gelingendes Miteinander ist es wichtig, dass jede Facette dabei ausreichend gewürdigt wird und dementsprechend auch einfach ihren Platz hat.
Anstatt diese Vielfalt zu fördern, erkennen die handelnden Personen unseres Vereines sie scheinbar nicht einmal an. Anders ist die Ignoranz hinter solchen Entscheidungen kaum zu erklären. Dabei sind es doch genau diese Vielfalt und der wechselseitige Respekt, die unseren „besonderen Verein“ ausmachen sollen. Ohne jegliches Interesse und ohne jedes Verständnis für Fankultur, die eben weit mehr als Ultras zu bieten hat, wird hier also eine weitreichende Entscheidung getroffen, die uns alle gemeinsam auf der Rheinhessentriübne betrifft. Und die wir so nicht akzeptieren können!
Damit sorgen die Verantwortlichen unseres Vereins nicht nur für Unzufriedenheit und Frust bei den betroffenen Fans, die ihren Stammplatz räumen müssen. Man erschafft auch völlig unnötige Spannungsfelder. Einige Fans werden sich über Sichtbehinderungen ärgern, andere darüber, dass der Nachbar oder die Nachbarin nicht mitsingt. Wir erinnern uns daran, als die aktive Szene sich testweise im oberen Bereich der Tribüne platzierte. Trotz wochenlanger Ankündigungen, tausender Flyer und Gesprächsangebote gibt es Leute, die noch heute verärgert darüber sind.
Den Vereins-Verantwortlichen sind diese Umstände, die Bedürfnisse und das Konfliktpotential daher genauestens bekannt. Mit der neugegründeten Fanabteilung, den Supporters und auch dem Q-Block hätten die Entscheidungsträger unseres Vereins reichlich Ansprechpartner, um sich Ideen, Bedenken und Meinungen zu solchen Vorschlägen einzuholen. Doch der Verein übergeht diese Strukturen erneut ganz bewusst und greift stattdessen völlig willkürlich und ohne Not in das soziale Gefüge der Fankurve ein. Von oben herab wird den Fans ihre Blockwahl vorgeschrieben, die Fans werden also im wahrsten Sinne gegängelt. Diese Frechheit ist jedoch kein Einzelfall, sondern vielmehr eine Offenbarung. Sie zeigt, wie Fans und ihre Interessen bei den Verantwortlichen in erster Linie wahrgenommen werden: als störend und lästig.
Dieser Eingriff steht exemplarisch dafür, welch geringe Wertschätzung unser Verein ausgerechnet denjenigen Fans zukommen lässt, die auch zu vermeintlich weniger attraktiven Partien ins Stadion gehen. Man lasse sich das mal auf der Zunge zergehen: Während für die VIPs zu diesem Spiel eine Weinverköstigung mit lokalen Winzern angeboten wird, werden die Fans in der Kurve de facto entmündigt und in zwei Blöcke zusammengedrängt. Nicht eine Sekunde verwenden die Verantwortlichen darauf das Stadion beispielsweise durch reduzierte Ticketpreise doch zu füllen, Mainz 05 ergibt sich kampflos in sein Schicksal und schließt lieber eigene Blöcke. Während die Kurven anderswo vom Verband als sinnlose Sanktionsmaßnahme gesperrt werden, schaffen die Verantwortliche unseres Vereins das schon selbst. Und das alles nur, um ein paar Euro für Ordnungsdienst und Reinigung zu sparen?!
Immer wieder äußern sich Menschen darüber, dass Mainz 05 „das Besondere“ abhanden gekommen ist. Funktionäre schwingen große Reden in den Medien, schwadronieren davon, dass sich bei Mainz 05 nichts geändert habe. Wir halten dem entgegen: Ihr seht den Wald vor lauter Bäumen nicht!
Wahrscheinlich hat man sich in der Geschäftsstelle nicht eine Sekunde Gedanken darüber gemacht, was für einen immensen Eingriff in die Kurve und die Freiheit der Fans diese Entscheidung eigentlich darstellt. Das offenbart, wie sehr es am grundlegenden Verständnis und Respekt für das fehlt, was die Menschen rund um diesen Verein bewegt.
Das Ohr ist nicht mehr an der Basis – und wenn es den Weg dorthin nicht schnellstens wiederfindet, dann nützen alle Phrasen von GeMainzam, Zusammenhalt und gallisches Dorf nichts mehr. Denn dann werden keine Fans mehr da sein, die solche Werte mit Leben füllen. Gerade im Kontext des Pokalspiels und der Blocksperre ist das im wahrsten Sinne ein hausgemachtes Problem.
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Q-BLOCK – DIE FANS VOM FSV